von Judith Keller
Leben mit Jagdhund als Nichtjäger/in
Sie sind schön. Sie sind dynamisch. Sie sind ausdauernd. Sie sind lernwillig. Dies sind nur einige der Gründe, weshalb immer häufiger Jagdhunde den Weg zu Nichtjägern finden. Lange war es ein Ding der Unmöglichkeit, ohne Jagdpatent an Weimaraner, Deutsch Kurzhaar und Co. zu kommen. Durch die Möglichkeiten des Internets hat sich dies jedoch verändert. Immer mehr Tierschutzorganisationen suchen Pflegestellen und Lebensplätze für Jagdhunde aus dem südlichen Tierschutz. Die Beschreibungen der Hunde klingen meist sehr vielversprechend: Sozialverträglich, menschfreundlich, aktiv, verschmust, freundlich… kurz der vermeintlich ideale Familienhund. All diese Attribute mögen ja durchaus zutreffen, doch daneben sind Jagdhunde vor allem anspruchsvoll und zeitintensiv in Bezug auf Training, Auslastung und Haltung im Alltag. Und sie bringen in ihrem genetischen Gepäck unterschiedlich stark ausgeprägte Jagdveranlagung mit. Viele der Jagdnasen die über den Tierschutz ein neues Zuhause suchen, wurden bereits jagdlich geführt und hatten entsprechende Erfolge mit Wild. Viele der zu vermittelnden Hunde sind wildscharf. Das bedeutet, dass in ihrem Verhaltensrepertoire auch das Packen und Töten abgespielt werden. Genetisch fest verankerte und durch entsprechende Lernerfahrungen etablierte Verhaltensweisen, welche sich nicht eliminieren lassen.
Ist es denn legitim, als Nichtjäger/in einen solchen Hund zu sich zu holen? Ja ist es, vorausgesetzt man hat sich vorab ehrlich und selbstkritisch Gedanken zu den folgenden Fragen gemacht und kann sie zugunsten des Hundes beantworten:
In den Augen vieler Jäger ist es ein No-Go einen Jagdhund zu führen, ohne dass er seine genetische Veranlagung auf der Jagd ausleben darf. Es gilt jedoch zu bedenken, dass die Hunde von Jägern auch nur sporadisch auf der Jagd geführt werden und zu 80% Familienhund sind. Ich stelle fest, dass Hunde in Nichtjägerhand oft genauso gut ausgelastet und bedürfnisgerecht beschäftigt sind, auch wenn ihnen der Teil der eigentlichen Jagd fehlt. Unser Trainingsansatz und die «Werkzeugkiste der positiven Verstärkung» bieten sehr vielseitige Möglichkeiten, um jagdlich passionierte Hunde bedürfnisgerecht auszulasten und sie glücklich zu machen. Viele Jagdhunderassen wurden ausserdem auf Kooperation mit dem Menschen selektiert, was das Training in vielen Punkten vereinfacht.
Anbei ein paar Beispiele geeigneter Trainings-Werkzeuge:
Beim Jagdhund beliebte Beschäftigungen
Jagdhund ist nicht gleich Jagdhund! Es macht einen Unterschied, ob man sich für einen deutschen Jagdterrier, einen Vizsla oder einen Podenco entscheidet. Sie alle haben durch lange Zuchtselektion herbeigeführte Veranlagungen und Bedürfnisse, die sich stark unterscheiden können. Und diese können nicht eben mal wegtrainiert werden, wenn man diese nicht goutiert. Genetik ist jahrhundertealt und tief verwurzelt. Dies muss man sich ins Bewusstsein rufen, bevor man sich für den schönen Weimaraner entscheidet. Denn die Freude ist oft von kurzer Dauer, wenn derselbe die Grossmutter im Haus an die Wand stellt oder mit Nachbars Katze im Fang nach Hause kommt. Und so mancher Hundefreund ist wenig erfreut, wenn der Setter beim ersten Freilauf in einem Radius von mehreren hundert Metern die Umgebung erkundet und nur noch als unscharfer Punkt am Horizont auszumachen ist.
Aber man wächst ja bekanntlich an seinen Aufgaben und so mancher Jagdhunde-Adoptant wurde nach erster Verzweiflung ob seiner Wahl zu einem bekennenden Liebhaber dieser fantastischen Hunde. Wer bereit ist, sich auf das Abenteuer Jagdhund einzulassen, Zeit und Herzblut zu investieren, der wird mit einem loyalen, arbeitsfreudigen, lernwilligen, vielseitig talentierten, unternehmungslustigen, aktiven und im Hause meist sehr unauffälligen Begleiter belohnt.
Ich habe mir lange und intensiv Gedanken darüber gemacht, ob ich die Ausbildung zur Jägerin in Angriff nehmen soll, um meine Kompetenzen in den Thema zu vertiefen. Habe mich aber schlussendlich dagegen entschieden, weil ich meinen Fokus auf die Begleitung der Jagdhunde richten möchte, die zur Jagd nicht einsetzbar sind und deshalb ihren Weg als Secondhand-Hunde zu Nichtjägern gefunden haben. Denn genau dort sehe ich noch viel Potenzial, diesen fantastischen und herausfordernden Hunden bessere Lebensqualität zu ermöglichen. Durch Wissen, Verständnis und ein strukturiertes, kleinschrittiges und bedürfnisgerechtes Training. Nichtsdestotrotz finden auch immer wieder Jäger den Weg in meine Hundeschule, mit welchen ich einen wertvollen Austausch und Wissenstransfer pflege.
Judith Keller / 18.02.2018